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Geschichte

Die Österreichische Humanistische Gesellschaft der Steiermark in Graz – Ein Rückblick von Wolfgang J. Pietsch

Die Anfänge dieser Interessensvereinigung reichen weit zurück, wohl in die 1950er Jahre. Doch richtig in Fahrt kam sie erst mit der Berufung zweier Wiener Dozenten nach Graz: Franz Stoessl (1910–1988) und Karl Vretska (1900–1983), die Anfang der 1960er Jahre als ao. Professoren die Leitung des Instituts für Klassische Philologie an der Karl-Franzens-Universität übernahmen. Vor allem Letzterer war es, welcher die Grazer Humanistische Gesellschaft „mit neuem Leben erfüllte und durch ein erlesenes Programm von Vorträgen illustrer Gäste zu einer Fortbildungsstätte und einer Plattform für Begegnung und Geselligkeit machte.“ (E. Doblhofer im Nachruf auf K. Vretska, in: Gnomon 55, 1983 = IAU 11/12 1984, S. 83). K. Vretska, der bald darauf zum ord. Professor ernannt wurde, war damals wohl der bedeutendste Sallustforscher seiner Zeit. Ihm war klar, dass kein Professor die gesamte Bandbreite des Faches der Klassischen Philologie abdecken konnte, eines Faches, das gut  1000 Jahre Sprach-, Literatur- und Kulturgeschichte zu erforschen hatte und das Nachbargebiete wie Alte Geschichte und Archäologie berührte, die in den 1960er, 70er Jahren in der Öffentlichkeit zunehmend Interesse fanden. So war es ihm ein Anliegen, Vortragende auch dieser Nachbardisziplinen einzuladen, die Wirkung der Antike in Vergangenheit und Gegenwart in den verschiedensten Bereichen der Kultur aufzuzeigen und Themen zu wählen, die ein allgemeineres Interesse beanspruchen konnten und auch für LehrerInnen der Alten Sprachen brauchbar sind. Ich erinnere mich eines interessanten Vortrages des Architekten Raimund Lorenz, seines Zeichens Professor an der TU Graz, der es in packender Weise verstand, die Tempelbauten auf der Athener Akropolis auch einem Nicht-Fachpublikum näher zu bringen. Hermann Vetters (Wien) berichtete über neueste Forschungsergebnisse in Ephesos, der österreichischen Paradeausgrabung. Andererseits holte Vretska auch Referenten aus Deutschland, die methodisch und thematisch den eigenen Lehrbetrieb erweitern und befruchten konnten. Z. B. Horst Rüdiger, einen Komparatisten, der im Juni 1978 aus Bonn kam und über „Klassische Philologie und Komparatistik“ sprach und tags darauf über „Goethes Römische Elegien und die antike Tradition“. Karl Büchner aus Freiburg war Gast der Humanistischen Gesellschaft, desgleichen Wolfgang Schadewaldt aus Tübingen, Otto Seel aus Erlangen u. v. a. Bisweilen kamen auch hauseigene Professorinnen in der Humanistischen Gesellschaft zu Wort: Erna Diez, erste Ordinaria an der Grazer Geisteswissenschaftlichen Fakultät, sprach 1969 über Griechische Grabdenkmäler, 1975 über Bildnisse des Kaisers Augustus, viel später dann, 1990 ihre Schülerin Gerda Schwarz über „Text und Bild. Unterrichtsbegleitende Illustrationen aus der antiken Kunst“ (veröffentlicht in IANUS 1990, S. 63–85). Auch aus dem nicht deutschsprachigen Ausland wurden Gelehrte eingeladen: z. B. einige Male Kajetan Gantar von der Universität Ljubljana/Laibach, der etwa über die Horaz-Rezeption in den südslawischen Ländern referierte und schließlich in den 1980er, 90er Jahren eine Gastprofessur am Grazer Institut wahrnahm.

Auch Viktor Pöschl, der bekannte Latinist aus Heidelberg, war mehrmals zu Gast. Berührend, wie ihn, der damals schon längst emeritiert war, ehemalige, auch schon pensionierte LehrerInnen begrüßten und alte Erinnerungen austauschten, da Pöschl Ende der 1940er Jahre noch als Dozent in Graz, seiner Geburtsstadt, wirkte und er von hier aus dann seine Karriere begründete. Im letzten Dezennium des vorigen Jahrhunderts sind mir Manfred Fuhrmann (Konstanz), der damals in den Medien der bekannteste Klassische Philologe war, in Erinnerung, und Werner Suerbaum (München). Dessen sehenswerte Ausstellung „Vergil visuell“, die dann am Gang vor dem Institut gezeigt wurde, kam allerdings nicht durch die Humanistische Gesellschaft in Graz, sondern durch Privatinitiative (Renate Glas, Klagenfurt) zustande.

In den letzten Jahren seit etwa 2000 sind mir Vorträge von Klaus Bartels (Zürich), Franz Römer (Wien, über lateinische Habsburger-Panegyrik), Udo Reinhardt (Mainz), Hellmut Flashar (Bonn) und Anja Wolkenhauer (Tübingen) in Erinnerung. Dabei waren Aspekte der Antikenrezeption und des klassischen Mythos wichtige Themen im Vortragsprogramm.

Eine Besonderheit, die leider viel zu selten vorkam, waren die quasi theatralischen Aufführungen. So etwa eine Vergil-Lesung durch den bekannten Grazer Schauspieler Gerhard Balluch zum 2000. Todestag von Vergil (1981) und eine musikalische Horaz-Veranstaltung zu dessen 2000. Todestag (1993) im Europa-Saal der Grazer Wirtschaftskammer. Dieser Abend war glänzend gelungen, von bekannten Künstlern gestaltet, von der steirischen Arbeitsgemeinschaft Klassischer Philologen und von der Sodalitas mitveranstaltet und fand sogar in der Presse ein Echo (s. IANUS 15/1994, S. 109). Karl Vretska hatte solche Abende eher im kleinen Rahmen vorweihnachtlicher Institutsfeiern angeboten. Da wurde z. B. Vergils 4. Ekloge vom damaligen Studenten Paul Lorenz zur Gänze lateinisch und auswendig vorgetragen.

Vretska war es auch, der im Namen der Humanistischen Gesellschaft die bisher einzige Broschüre herausgab: „Wozu heute noch Griechisch?“ (1967), eine Sammlung von Argumenten damaliger bekannter Wissenschaftler und Vertreter des öffentlichen Lebens. Geholfen hat das alles nichts. Einer aktuellen APA-Meldung zufolge (Die Presse, Wien, v. 19.1.2019) lernen derzeit in ganz Österreich nur 700 SchülerInnen am Gymnasium Griechisch.

An der Spitze der Humanistischen Gesellschaft stand bzw. steht jeweils ein Professor einer altertumswissenschaftlichen Disziplin, seit der Jahrhundertwende erstmals eine Dame: Eveline Krummen (aus Zürich), seit 2017 Ursula Gärtner (aus Potsdam), beide Klassische Philologinnen. Auf Grund der prekären Quellenlage (es gibt lt. Auskunft keinerlei schriftliche Unterlagen über die frühere Tätigkeit der Humanistischen Gesellschaft, weder am Institut noch im Universitätsarchiv) lässt sich eine vollständige Liste früherer Vorsitzender nicht mehr erstellen. Der bekannte Theologe und Ökumeniker Johann B. Bauer (1927 – 2008) gehörte einmal dazu, in den 1990er Jahren und darüber hinaus der Römische Rechtshistoriker Gerhard Thür, der vor allem durch seine antiken Rechtsprozesse in Erinnerung blieb (2007), die er von Studierenden realiter im Hörsaal nachspielen ließ und die dann auf einer DVD allen (?) Zuhörern zugeschickt wurden. Erwähnt muss hier werden, dass die Humanistische Gesellschaft auch Anliegen der Schulphilologen unterstützte. So finanzierte sie – neben anderen Sponsoren – die Geld-Preise für das Certamen Graecense, das im Jahr 2003 aus Anlass der Grazer Kulturhauptstadt von KollegInnen des Akademischen Gymnasiums und von der Steirischen Arbeitsgemeinschaft Klassischer Philologen ausgeschrieben und durchgeführt wurde. Dabei handelte es sich um einen Übersetzerwettbewerb lateinischer und griechischer Texte zu und über Graz.

Die einzige Aktivität der Humanistischen Gesellschaft, die gut dokumentiert ist, sind die Reisen. Dabei handelt es sich um „Pfingstfahrten“, die in den Jahren 1968–1990 stattfanden, zu einer Zeit, als im Grazer Bildungsbürgertum noch genügend interessiertes Publikum dafür gefunden werden konnte. HR D.I. Sturm von der Österreichischen Post- und Telegrafenverwaltung war der erste Reiseleiter und Organisator dieser Reisen, die z. B. ins „Unbekannte Istrien“ (1971) führten und oft klassisch-antike Stätten in Österreich und in den Nachbarländern zum Ziel hatten. Teilnehmer war-en zumeist Grazer Professoren und „Mittelschullehrer“, wie man damals sagte, aber auch Vertreter ganz anderer Berufe und Pensionisten. Jener Reiseleiter, der wohl am meisten Eindruck machte, war OStR Dr. Karl Liebenwein, der auch viele Jahre am Institut Lehrbeauftragter für den Lateinkurs war. Die letzten Reisen veranstaltete ein Arzt, Medizinalrat Dr. Harald Lischnig, der für sein dies-bezügliches Engagement ausdrücklich und mehrmals von Prof. Arnold Kränzlein (Römischrecht-ler) und Prof. Franz Stoessl (Gräzist) bedankt wurde, wie aus den Unterlagen hervorgeht. Und jetzt danke ich ihm für seine sorgfältige Reise-Dokumentation, die er mir für diesen Rückblick zur Verfügung gestellt hat.

Der römische Autor Quintilian (1. Jh. n. Chr.) hat es in seinem Werk (inst. I, 2, 28) einmal angedeutet und ein spanischer Emblematiker des 16. Jh.s. in die prägnante Formulierung gegossen: PERIIT PARS MAXIMA MEMORIA – Der größte Teil (der Erinnerung) ist dem Gedächtnis entschwunden. Das gilt auch für die Humanistische Gesellschaft. Doch wissen wir von Aleida Assmann, dass es auch ein heilsames Vergessen gibt. Insofern ist es vielleicht ganz gut, dass so viel vergessen wurde. Nun kann ganz unbeschwert von der Vergangenheit ein neues Programm für die Humanistische Gesellschaft der Zukunft entworfen werden.

Vorsitzende

Mag. Dr.phil.

Renate Oswald

Bundesgymnasium Rein


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